Kopenhagen (pts038/30.05.2016/15:00) – Noch immer fehlen effektive Therapien gegen Alzheimer. Und nie war der Druck größer, endlich den Durchbruch im Kampf gegen diese Krankheit zu schaffen. „Die europäische Wissenschaft könnte hier eine führende Rolle einnehmen, ein konzertiertes Vorgehen und ausreichend Mittel vorausgesetzt. Forschung kostet zwar Geld, aber noch teurer kommt uns die Machtlosigkeit gegen die Krankheit“, konstatierte Prof. Gunhild Waldemar (Direktorin des Dänischen Demenzforschungszentrums) beim 2. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Kopenhagen.
Alzheimer ist mit bis zu 70 Prozent der Fälle die häufigste Form dementieller Erkrankungen. Das Demenzrisiko steigt mit den Lebensjahren, die Zahl der Betroffenen wird daher Expertenschätzungen zufolge aufgrund des demografischen Wandels von 47 (2015) auf 75 Millionen (2030) weltweit anwachsen. Das hat neben dem menschlichen Leid auch enorme ökonomische Folgen: Eine multinationale Studie mit 1.222 Patienten aus Großbritannien, Schweden, Spanien und den USA schätzte die gesellschaftlichen Kosten für einen Demenzpatienten, der noch relativ selbstständig seinen Alltag bestreitet, auf rund 14.500 Euro pro Jahr.
Sind Demenzpatienten auf institutionelle Pflege angewiesen, klettert dieser Betrag auf 72.500 Euro pro Jahr. Die globalen wirtschaftlichen Kosten von demenziellen Erkrankungen wurden für 2015 mit der enormen Summe von 818 Milliarden US-Dollar beziffert. Auf Europa heruntergebrochen werden die Gesamtkosten für Demenz im Jahr 2010 auf 105,6 bis 238,6 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Bis heute gibt es keine Behandlung, mit der die Krankheit aufgehalten oder rückgängig gemacht werden kann. „Dazu bräuchten wir ein besseres Verständnis für die neurodegenerativen Mechanismen der Krankheit“, betonte Prof. Waldemar. „Die Annahme, Demenz sei eine unvermeidliche Folge des Alters, ist jedenfalls schlichtweg falsch: Die Hälfte der Menschen im Alter von 90 Jahren haben keine Gedächtnisstörungen.“
Um die Wirkung neuer Medikamente bewerten zu können, spielen moderne Bildgebung und Biomarkern eine größere Rolle denn je. Bildgebung, Biomarker im Blut oder der Rückenmarksflüssigkeit sowie Gentests können außerdem dazu beitragen, Alzheimer zu prognostizieren oder frühzeitig zu diagnostizieren – selbst bei Menschen, die noch keine oder kaum merkliche Anzeichen einer Demenz zeigen.
Das hat auch seine Tücken, denn eine Falschbewertung des Biomarkertest-Ergebnisses kann weitreichende Folgen haben. Prof. Waldemar: „In Zukunft werden wir medizinische, ethische und auch rechtlichen Richtlinien dafür brauchen, wie diese Untersuchungen ablaufen sollen und wann sie angemessen sind, damit es eine Richtschnur für die Beratung der Patienten gibt.“ Sie forderte zudem breite, evidenzbasierte Public-Health-Programme, um Alzheimer zu verhindern oder den Krankheitsbeginn hinauszuzögern. Zu diesem Themenbereich wurden auch eine Reihe neuer Studien beim EAN-Kongress vorgestellt.
Eine gute Nachricht gab es am EAN-Kongress für leidenschaftliche Kaffeetrinker: Finnische Forscher sind dem Mechanismus auf der Spur, warum regelmäßiger Kaffeekonsum das Risiko vermindern kann, an Alzheimer zu erkranken. Wie die Langzeitstudie CAIDE (Cardiovascular Risk Factors, Ageing and Dementia) nachweisen konnte, sorgt der tägliche Genuss von vier bis fünf Tassen Kaffee in mittleren Jahren für eine geringere Atrophie (Rückbildung) des medialen Temporallappens im Alter – also jenes Gehirnteils, der für die Gedächtnisleistung wichtig ist.
Die derzeitige Versorgungssituation von Demenzkranken stuft Prof. Waldemar als unbefriedigend ein. Eine Reihe von Studien, die auf dem EAN-Kongress präsentiert wurden, zeigen, dass Betroffene oft mit unpassenden oder hinsichtlich ihres Nutzens umstrittenen Medikamenten behandelt werden. Eine dänische Studie legt zum Beispiel dar, wie häufig Demenzkranke mit neuropsychiatrischen Symptomen Antipsychotika und andere psychotrope Medikamente erhalten, obwohl deren Wirksamkeit nur eingeschränkt erwiesen ist und der Substanzcocktail für die Patienten gefährlich werden kann. Von rund 35.000 Patienten bekam laut Registerdaten jeder vierte mehr als zwei psychotrope Medikamente. Von den rund 5.400 Patienten, die mit Antipsychotika behandelt wurden, bekamen drei von vier weitere psychotropen Substanzen während der antipsychotischen Behandlungsperiode.
Eine weitere dänische Studie analysierte die regionalen Unterschiede, mit denen demenziell erkrankte Menschen Antipsychotika verordnet werden. Registerdaten aus dem Jahr 2012 zeigen, dass sich die Prävalenz beim Gebrauch von Antipsychotika in den 98 Gemeinden zwischen 7,6 und 32,9 Prozent bewegte. „Dass mancherorts fast fünfmal so oft Antipsychotika an Demenzpatienten verschrieben werden, lässt sich nicht durch Alter oder Geschlecht erklären. Es braucht evidenzbasierte Richtlinien für die pharmakologische Behandlung und mehr Weiterbildung für die alle, die in der medizinischen Grundversorgung tätig sind“, betonte Prof. Waldemar.
Die Expertin kritisiert, dass andere gesundheitliche Probleme bei Demenzkranken oft übersehen werden und unterbehandelt bleiben. Medizinische Unterversorgung ortet etwa eine schwedische Registerstudie: Von rund 29.600 Patienten, deren Daten analysiert wurden, litten rund 5.700 unter Vorhofflimmern, also einer Herzrhythmusstörung, die einen Schlaganfall auslösen kann. Die Gabe von Blutverdünnern ist bei Vorhofflimmern indiziert, doch nur rund 40 Prozent der Patienten erhielten das Medikament Warfarin. Die Wahrscheinlichkeit, das Mittel zur Schlaganfallprävention zu erhalten, sank unter anderem mit der kognitiven Leistung der Betroffenen.
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