Kopenhagen (pts034/30.05.2016/14:15) – Die Schlaganfalltherapie macht große Fortschritte. Ob diese auch bei den Patienten ankommen, diskutieren Experten beim 2. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Kopenhagen. „Nur wenn wir die Strukturen und Abläufe der Schlaganfallversorgung auch an die aktuellen Erkenntnisse anpassen, können wir das Potenzial der neuen Möglichkeiten ausschöpfen. Diese Reorganisation muss die gesamte Versorgungskette umfassen – von der Rettungsfahrt bis zum exakt definierten Einsatz der Thrombektomie“, sagt Prof. Franz Fazekas (Universitätsklinik Graz, Österreich), Vizepräsident der European Academy of Neurology.
Immer mehr Studienergebnisse belegen die hohe Wirksamkeit der Thrombektomie, der mechanischen Entfernung von Blutgerinnseln (Thromben) nach einem Schlaganfall. Dieses Verfahren macht vor allem bei sehr langen Blutgerinnseln und großen Verschlüssen der Hirnarterien Sinn und führt zu guten Ergebnisse: Mehr als 60 Prozent der Behandelten überstehen den Schlaganfall aufgrund eines solchen Eingriffs ohne oder nur mit geringer späterer Behinderung.
Erst kürzlich haben die relevanten europäischen Fachgesellschaften eine gemeinsame Therapieempfehlung veröffentlicht. Das Konsensuspapier bietet unter anderem eine Orientierung, unter welchen Bedingungen und bei welchen Patienten die Methode eingesetzt werden kann. Es definiert das ideale Zeitfenster und klärt, wann intravenöse Thrombolyse und mechanische Thrombenentfernung kombiniert werden sollen.
Nun sind weitere internationale Empfehlungen in Vorbereitung: Sie sollen vorgeben, wie die Schlaganfallversorgung organisiert sein muss, damit eine Thrombektomie erfolgreich verlaufen kann. „Das neue Papier soll zum Beispiel die organisatorischen und personellen Anforderungen an ein neurologisches Zentrum definieren und wie viel Erfahrung die behandelnde Ärztinnen und Ärzte mitbringen müssen. Sehr detailliert soll auch erarbeitet werden, wie die Thrombektomie selbst zu verlaufen hat, von der Wahl der geeigneten Instrumente über den Blutdruck der Patienten während des Eingriffs bis hin zur Nachsorge“, erklärte Prof. Fazekas.
„Es soll damit aber auch auf noch offene Fragen hingewiesen werden und der Anstoß erfolgen, diese durch entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen zu klären“. In die Leitlinien fließt die Expertise von sechs relevanten Fachgesellschaften ein, nämlich der European Academy of Neurology (EAN), der European Association of Neurosurgical Societies (EANS), der European Society of Emergency Medicine (EuSEM), der European Society of Minimally Invasive Neurological Therapy (ESMINT), der European Society of Neuroradiology (ESNR) sowie der European Stroke Organisation (ESO).
„Wir hoffen, mit den Leitlinien auf offene Ohren bei den Gesundheitsverantwortlichen in ganz Europa zu stoßen. Ihre Implementierung und der Aufbau von spezialisierten Zentren kann schwere Behinderungen nach Schlaganfällen verhindern und viele Leben retten“, so Prof. Fazekas. Pro Jahr werden in Europa 600.000 Schlaganfälle registriert, bei stark steigender Tendenz.
Dass eine optimierte Versorgung in spezialisierten Zentren der richtige Weg ist, bestätigt nicht zuletzt eine aktuelle Studie, die beim EAN-Kongress präsentiert wird: Wie Daten von mehr als 9.500 Patientinnen und Patienten aus dem dänischen Schlaganfallregister zeigen, hat sich die Reorganisation der Schlaganfallversorgung in der Zentralregion Dänemarks ausgezahlt. Seit dem Jahr 2012 werden Patienten mit Schlaganfall-typischen Symptomen nicht mehr in eines von fünf Spitälern, sondern nur mehr in eine von zwei spezialisierten Stroke Units gebracht.
„Seit dieser Umstellung erhält ein höherer Anteil an Patienten eine intravenöse Thrombolyse innerhalb des erstrebenswerten Zeitfensters von einer Stunde nach Krankenhauskontakt und ist auch der Anteil frühzeitiger Eingriffe zur Beseitigung von Stenosen der Halsschlagader gestiegen. Die Mortalität innerhalb von 30 Tagen nach dem Schlaganfall konnte weiters von 10.4 auf 8.2 Prozent gesenkt werden“, fasst Prof. Fazekas die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zusammen.
Auch die Frage, welches diagnostische Vorgehen den größten Vorteil bringt, ist Thema bei EAN-Kongress. Zwei dänische Studien mit 444 Schlaganfallpatienten zeigen etwa, dass eine MRT-Untersuchung eine wesentliche Hilfe für behandelnden Ärztinnen und Ärzte darstellt, um die richtige Therapie-Entscheidung zu treffen. Diese Untersuchung zur Feststellung des Schlaganfalls dauert allerdings durchschnittlich um 7,5 Minuten länger als eine Computertomografie.
„Auch wenn die oberstes Maxime lautet, die Zeit zwischen Tür und Nadel – also zwischen Eintreffen im Spital und Beginn der Thrombolyse – so kurz wie möglich zu halten, macht sich auf Grund der vorgestellten Ergebnisse die bessere bildgebende Diagnostik mit einer passgenauen Therapie-Entscheidung offensichtlich doch bezahlt“, kommentiert Prof. Fazekas die Ergebnisse der dänischen Kollegen. Gleichzeitig zeigen die Untersucher allerdings auch auf wie der Zeitverlust teilweise wettgemacht werden könnte, indem nämlich andere verzögernde Faktoren organisatorisch ausgeschlossen werden: Zum Beispiel, dass nur erfahrene Ärztinnen und Ärzte die Untersuchung indizieren und die Ablauforganisation verbessert wird.
Eine in Kopenhagen präsentierte italienische Studie zur Neu-Organisation der Schlaganfallversorgung in der Lombardei zeigt außerdem, dass Patienten mit Schlaganfallsymptomen häufiger zu einer Thrombolyse kommen, wenn sie gleich mit der Rettung eingeliefert und als Notfall mit höchster Priorität eingestuft werden. „Auch an dieser Stellschraube könnte also gedreht werden, damit die neuen therapeutischen Möglichkeiten optimal genutzt werden“, so Prof. Fazekas.
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