Baden (pts021/13.01.2017/15:10) – Bildungsministerin Sonja Hammerschmid hat dieser Tage mit ihrer Idee aufhorchen lassen, digitale Kompetenzen schon ab der Volksschule fix im Unterricht zu verankern. Gerhard Brandhofer, Experte für Mediendidaktik an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich, erklärt im Interview, warum auch „Digital Natives“ dringend Medienerziehung brauchen, digitale Medien mehr als bloß ein Werkzeug im Unterricht sind und Lehrende trotz aller technischer Entwicklung nie überflüssig werden.
Heutige „Digital Natives“ sind ohnehin mit den neuen Medien groß geworden. Welche zusätzlichen Kompetenzen haben sie überhaupt nötig? Brandhofer: Marc Prensky prägte den Begriff der Digital Natives, einer Generation, die im Gegensatz zu den Digital Immigrants bereits mit digitalen Medien aufgewachsen ist und diese intensiv nutzt. Allerdings trifft diese Unterscheidung in seiner Pauschalität nicht zu. Wie und in welcher Intensität digitale Medien genutzt werden, ist nicht in erster Linie vom Alter abhängig, die Kompetenzen der Jüngeren sind oft sehr oberflächliche. Der Digital Gap verläuft eher zwischen sozialen Schichten und Bildungsniveaus. Die tollen Fähigkeiten der Digital Natives sind somit ein Mythos. Nicht nur deswegen ist es sinnvoll, dass in der Schule sowohl medienpädagogische wie auch informatische Themen gebührend Platz finden.
Bereits seit dem Jahr 2012 gibt es einen Grundsatzerlass zur Medienerziehung, der diese als Unterrichtsprinzip im Schulalltag verankert. Geschieht die „Heranbildung kommunikationsfähiger und urteilsfähiger Menschen“, wie dieser Grundsatzerlass fordert, nicht längst in der Schule? Brandhofer: Im Vergleich mit anderen Ländern liegt das österreichische Schulwesen hier im Mittelfeld. Durch verschiedene Projekte und Initiativen gibt es in Österreich zahlreiche herausragende Schulen im Bereich der digitalen Bildung. Aus diesen beiden Tatsachen lässt sich schlussfolgern, dass es auch zahlreiche Schulen gibt, die sich bisher mit dem Thema Digitalisierung wenig bis gar nicht auseinandergesetzt haben. Die fehlende Verbindlichkeit, die Möglichkeit zu digitaler Bildung für jedes Kind, wurde zahlreich und prominent – etwa im Nationalen Bildungsbericht – kritisiert. Umso erfreulicher ist daher die Ankündigung der Frau Bundesministerin.
Unklar ist für die Bundesministerin noch, ob es zur Förderung digitaler Kompetenzen zukünftig ein eigenes Schulfach geben soll, oder ob diese Kompetenzen zum Beispiel von Deutschlehrer/innen im Deutschunterricht mit vermittelt werden sollen… Brandhofer: Diese Frage wird in den Fachkreisen lebhaft diskutiert: digitale Medien als Unterrichtsprinzip oder exklusiv in einem eigenen Fach. Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Ich persönlich bin für ein maßvolles sowohl als auch: neben der Integration in Fächer ist ab der Sekundarstufe auch ein garantiertes Zeitgefäß – und das muss kein eigenes Fach sein – für informatische Bildung wie auch für Medienbildung zielführend. Die Betrachtung der digitalen Medien lediglich als Werkzeug für den Unterricht greift zu kurz, zum Lernen mit digitalen Medien kommt das Lernen über digitale Medien und trotz digitaler Medien hinzu oder noch umfassender: ein Lernen im Zeitalter der Digitalität.
Dieses „Lernen im Zeitalter Digitalität“ bedarf also jedenfalls auch kompetenter Lehrpersonen. Wie steht es um deren Kompetenzen? Brandhofer: Die Anwendungskenntnisse sind besser als oftmals vermutet, das belegen auch eigene Studien – und sie sind wenig altersabhängig. Die große Lücke besteht bei der Fähigkeit, das eigene Wissen dann auch sinnvoll im Unterricht umzusetzen und die Schüler/innen auf dem Weg zur digitalen Mündigkeit zu begleiten, also bei der pädagogischen Kompetenz.
An der Pädagogischen Hochschule leiten Sie die Lehrgänge „E-Learning – E-Pädagogik“, „Mathematik digital“ und „Deutsch digital“. Mit welchen Grundkompetenzen sollen die Absolvent/innen diese Lehrgänge abschließen? Brandhofer: Hier zielen wir genau auf diese pädagogischen Kenntnisse. Bei all diesen Lehrgängen legen wir großen Wert auf die konkrete Umsetzung im Unterricht. Beim Lehrgang „E-Learning – E-Pädagogik“ wird die Bandbreite an Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien in unterschiedlichsten Fächern vorgestellt, bei „Mathematik digital“, „Deutsch digital“ und den von Peter Groißböck geleiteten „Digital English Language Education“ wird die fachspezifische Nutzung digitaler Medien behandelt. Gemeinsam mit dem Lehrgang „Lehrer/in für IKT“ haben wir damit ein rundes und umfangreiches Angebot.
Viele Lehrer/innen klagen, dass in den Schulen – selbst wenn sie als Lehrperson über die entsprechenden digitalen Kompetenzen verfügen – die nötige Ausstattung fehlt. Geräte wie PCs seien oft veraltet, moderne Devices wie Tablets so gut wie nie in Klassenstärke vorhanden… Brandhofer: Das ist eine große Herausforderung für die Schule wie auch für den Schulerhalter. Neben der Frage der Finanzierung sind wichtige grundlegende Entscheidungen zu fällen: Welchen Gerätetyp schaffe ich an, also Tablets, Hybridgeräte, Notebooks, PCs…? Für welches System entscheide ich mich? Für welche Lernsettings soll meine Ausstattung geeignet sein? Wie sieht das Besitzverhältnis aus, also gehören die Geräte der Schule, ist es ein Leasingmodell oder gilt der Grundsatz Bring-your-own-device? Je nach Schultyp, Schulstufe, Schul- und Unterrichtskultur kann eine völlig andere Ausstattung die jeweils am besten geeignete sein.
Wird der Job der Lehrenden im Zeitalter der Digitalität ganz anders aussehen als jetzt? Brandhofer: Die Rolle der Lehrenden ändert sich sehr stark. Damit setzen wir uns jetzt schon auseinander. Diese unhinterfragbare Instanz und Autorität löst sich auf, weil die Schüler/innen sehr schnell mit ihrem Kulturzugangsgerät den Wahrheitsgehalt von Aussagen überprüfen können, wenn sie die Kompetenz dafür haben.
Verlieren die Lehrenden also an Bedeutung? Brandhofer: Die große Metastudie des Bildungsforschers John Hattie kommt zum gegenteiligen Schluss. Entscheidend für die Leistung der Schüler/innen ist da weder das Fachwissen, noch die Digitalisierung, noch die Gruppengröße. Entscheidend ist das, was zwischen dem/der Lehrenden und dem Schüler / der Schülerin passiert. Die Rolle des/der Lehrenden kann man also gar nicht überschätzen.
Prof. Dr. Gerhard Brandhofer unterrichtet Mediendidaktik, Medienpädagogik und Informatische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich. In mehreren Forschungsarbeiten hat er die Nutzung digitaler Medien im Unterricht untersucht und unter anderem einen Katalog für digitale Kompetenzen mit definiert. Zu Jahresbeginn erschien im Verlag Tectum sein neuestes Buch: „Lehr-/Lerntheorien und mediendidaktisches Handeln. Eine Studie zu den digitalen Kompetenzen von Lehrenden an Schulen.“
Infos zu den im Interview genannten Lehrgängen an der PH NÖ finden Sie hier: * E-Learning – E-Pädagogik: https://www.ph-noe.ac.at/index.php?id=259&nr=100 * Mathematik digital: https://www.ph-noe.ac.at/index.php?id=262&nr=470 * Deutsch digital: https://www.ph-noe.ac.at/index.php?id=262&nr=413 * Digital English Language Education: https://www.ph-noe.ac.at/index.php?id=262&nr=415 * Lehrer/in für IKT: https://www.ph-noe.ac.at/index.php?id=259&nr=130
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