Wien (pts012/28.01.2019/10:50) – Ketamin kann zur Therapie starker postoperativer Schmerzen und zur Prävention chronischer postoperativer Schmerzen und neuropathischer Schmerzen dienen. Das berichten Experten anlässlich der 18. Schmerzwochen der ÖSG.
Das Schmerz- und Narkosemittel Ketamin wurde bereits 1962 eingeführt, aufgrund seiner psychotropen Wirkung kommt es aber in der Notfallmedizin und Anästhesie nicht mehr häufig zum Einsatz. Doch die Substanz könnte eine Renaissance in der Schmerzmedizin erleben berichtet ÖSG-Past-Präsident OA Dr. Wolfgang Jaksch DEAA, Wien, aus Anlass der 18. Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft.
Zu Ketamin sind noch viele Fragen zu seiner Wirksamkeit und möglichen neuen Anwendungsgebiete offen. Seit den 1990er Jahren wird intensiv dazu geforscht. Ketamin wirkt unter anderem am NMDA-Rezeptor und weist somit einen völlig anderen Wirkmechanismus auf als andere Analgetika. „Das ist insofern interessant, als dieser Rezeptor bei der Entstehung chronischer, speziell neuropathischer Schmerzen eine Rolle spielt“, berichtete Dr. Jaksch. „Ketamin könnte daher dazu beitragen, dass bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen die physiologische Schmerzhemmung wiederhergestellt wird.“
Eine Vielzahl von Studien demonstriert, dass Ketamin bei der Linderung chronischer Schmerzen wirksam ist, insbesondere wenn sie eine neuropathische Komponente beinhalten. „In den meisten Studien wurden allerdings Ketamin-Infusionen untersucht, mit der oft nur eine auf wenige Stunden begrenzte Wirkung erreicht wurde“, gab Dr. Jaksch zu bedenken. Die Datenlage zu Behandlungsdauer und eingesetzter Dosierung sei sehr heterogen. Zum Einsatz von Ketamin bei chronischem Schmerz fehlen noch Langzeitdaten.
Bei Krebspatienten, deren Schmerzen eine deutliche neuropathische Komponente haben, kann Ketamin eine Reduktion der Opioid-Dosis und eine verbesserte Schmerzlinderung bewirken. Ketamin kann auch eine Behandlungsoption für onkologische Patienten darstellen, die nicht mehr auf Opiode ansprechen. „Allerdings ist die Evidenz zum Einsatz von Ketamin bei Krebs-Schmerz bei weitem dünner als bei nicht-onkologischen Schmerzen“, so Dr. Jaksch. Die Palliative Care Guidelines der European Society for Medical Oncology (ESMO) empfehlen jedoch den Einsatz von Ketamin, und zwar zur palliativen Behandlung von Patienten mit neuropathischen Schmerzen im onkologischen Setting und bei komplexen neuropathischen und vaskulären Schmerzsyndromen, bei denen Opioide ihre Wirkung verloren haben.
Postoperativen chronischen Schmerzen vorbeugen
„Ein mögliches neues Einsatzgebiet für Ketamin ist auch die Prävention von chronischen postoperativen Schmerzen“, so Dr. Jaksch. Aktuell wird darüber diskutiert, ob Ketamin bei bestimmten Patientengruppen das Risiko der Chronifizierung von Schmerzen nach chirurgischen Eingriffen senken kann. „Studien zeigten, dass der Einsatz von niedrig dosiertem Ketamin den perioperativen Opioidbedarf um 40 Prozent reduziert, ohne dass dieser Vorteil durch schwere Nebenwirkungen erkauft würde“, so Dr. Jaksch.
Es wird vermutet, dass Ketamin die akute Toleranzentwicklung gegenüber Opioiden verhindert und auch eine entzündungshemmende Wirkung hat. Letzteres scheint einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit nach Operation vorzubeugen. Ketamin hat sich auch als hilfreich bei der Behandlung Opioid-resistenter akuter postoperativer Schmerzen erwiesen. „Es gibt daher Empfehlungen, Ketamin bei großen Eingriffen als Teil eines multimodalen perioperativen Schmerzmanagements einzusetzen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen“, fasst OA Jaksch zusammen.
Missbrauchspotential und Nebenwirkungen
Hinsichtlich der Nebenwirkungen bereiten vor allem die psychotropen Effekte von Ketamin Sorgen – insbesondere bei längerfristiger Einnahme. Bei gesunden Menschen kann Ketamin Psychose-ähnliche Effekte und kognitive Beeinträchtigungen hervorrufen – allerdings wird die Substanz in der Schmerztherapie sehr niedrig dosiert. „Ironischerweise liefert der seit den 1970er Jahren verbreitete Missbrauch von Ketamin als ‚Partydroge‘ bessere Daten zu langfristigen Nebenwirkungen als die spärlichen klinischen Studien mit ihren kurzen Beobachtungszeiten“, resümierte Dr. Jaksch die Forschungslage.
Im Zusammenhang mit chronischem Ketamin-Konsum junger Menschen wird eine Vielzahl von psychiatrischen und neurologischen Komplikationen beschrieben. Todesfälle durch Überdosierung sind allerdings selten und stehen in der Regel in Zusammenhang mit der Einnahme anderer psychoaktiver und sedierender Substanzen wie zum Beispiel Alkohol. Aus den Daten zum „Freizeitgebrauch“ von Ketamin lässt sich aber ableiten, dass eine starke Nutzung von Ketamin sowohl hinsichtlich der kognitiven Funktion als auch des psychischen Wohlbefindens nachteilige Wirkungen hat.
„Wie weit dies auch auf den medizinischen Einsatz von Ketamin zutrifft und inwieweit sich Missbrauchspotenzial und psychotrope Nebenwirkungen von Ketamin beherrschen lassen, müssen weitere Studien zeigen“, resümiert Dr. Jaksch. Eine Publikation zum möglichen Einsatz von Ketamin in der Schmerztherapie und bei therapieresistenten Depressionen ist in Vorbereitung.
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