Wien (pts012/05.11.2021/11:30) – Chronische Bauchschmerzen und Durchfälle? Darmblutungen, Blutarmut, Leistungsabfall, erhöhte Temperatur, Übelkeit, Gewichtsverlust, Gelenkschmerzen – etwa 80.000 Menschen in Österreich leiden unter chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), wie an Morbus Crohn oder an Colitis ulcerosa. Derzeit beträgt der Zeitraum vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung und zum Beginn einer effizienten Therapie oft mehrere Jahre. „Eindeutig zu lange“, sind sich PatientenvertreterInnen und ExpertInnen einig.
„Bis zur eindeutigen Diagnose wurde ich als Hypochonder abgestempelt“; „Mein Chef hat kein Verständnis für meine Krankenstände, ich rechne jeden Tag mit meiner Kündigung“; „Jeder Gang auf die Toilette wurde zur Hürde, meine Kollegen glaubten, ich wollte mich vor der Arbeit drücken“; „Mein Freundeskreis hat sich seit Beginn der Erkrankung deutlich eingeschränkt, viele haben sich zurückgezogen“ – um diesen Aussagen der PatientInnen vorzubeugen und Defizite gar nicht erst entstehen zu lassen, ist eine frühe Diagnose und effiziente Behandlung wichtig.
„Wir wollen diese Szenarien durch eine gute Aufklärungsarbeit in Zukunft verhindern“, so Evelyn Groß, Präsidentin der Selbsthilfeorganisation Österreichische Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV) . Als Vertreterin der Betroffenen ist gerade zum „Tag des Darms“ ihr erklärtes Ziel: „Das Tabu zu brechen, über CED zu informieren und die Angst zu nehmen. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind chronische – nicht ansteckende – Erkrankungen, für die es viele Therapiemöglichkeiten gibt!“
Krankheitsbild – psychische, soziale und sozialökonomische Konsequenzen
Gastroenterologe Univ. Prof. Dr. Walter Reinisch von der CED-Ambulanz der MedUni/AKH Wien hat die wichtigsten Zahlen und Fakten über diese in der Öffentlichkeit noch immer zu wenig bekannten Krankheiten zusammengefasst:
* Etwa 90 Prozent der CED-PatientInnen leiden phasenweise bis lebenslang an häufigen Durchfällen bis hin zur Inkontinenz, 85 Prozent an Bauchschmerzen.
* Häufig sind Blutbeimengungen im Stuhl bei der Colitis ulcerosa und Fistelbildungen beim Morbus Crohn. Fisteln sind eitrige Verbindungsgänge vom Darm zur Haut, Scheide, Blase, Muskulatur, etc.
* Eine CED beginnt meistens im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, kann aber jede Altersgruppe betreffen.
* Das Risiko für Dickdarmkrebs ist bei CED auf das bis zu 10-fache erhöht.
* 15 Jahre nach der Diagnosestellung müssen sich 34 Prozent der PatientInnen einer Operation, 14 Prozent zwei Operationen, und 22 Prozent drei oder mehreren Operationen am Darm unterziehen – bis hin zur Dickdarm-Entfernung und dem Einsetzen eines künstlichen Darmausganges.
* Häufig müssen CED-PatientInnen sich in ihrem Aktionsradius nach der unmittelbaren Verfügbarkeit einer Toilette orientieren bzw. Windeln tragen.
* Abhängig von der Krankheitsaktivität kommt es in bis zu 70 Prozent der Fälle zu sozialem Rückzug, Angststörungen und Depressionen.
* 30 bis 40 Prozent der PatientInnen verlieren aufgrund der Erkrankung ihre Beschäftigung.
* Im zwischenmenschlichen Bereich kommt es durch eine CED häufig zu Problemen und Konflikten: Das Sexualleben der PatientInnen ist beeinträchtigt, Freundschaften und Beziehungen können in die Brüche gehen.
Späte Diagnosen verhindern frühzeitige Therapien und verschlechtern die Prognose
„Angesichts dieser Faktenlage ist die Tatsache dramatisch, dass viele Betroffene erst sehr spät in den Genuss einer adäquaten medikamentösen Therapie kommen. Die fehlende bis zögerliche Überweisung der PatientInnen an Spezialisten bewirkt eine Verzögerung der Diagnosestellung um Jahre“, so Darmexperte Walter Reinisch, der noch eine weitere Gefahr für CED-PatientInnen sieht, nämlich: „Deren Betreuung durch KollegInnen, die den PatientInnen mit nicht fundierten Praktiken die selbstheilende Kraft des Darmes suggerieren; dies meist assoziiert mit teuren und inhaltslosen Untersuchungen. Zunehmend werden Betroffene von dubiosen alternativmedizinischen Praktiken angelockt, um nach Jahren im schlechten Zustand bei qualifizierten Gastroenterologen zu erscheinen. Es ist durchaus schändlich, dass das österreichische Gesundheitssystem dies zulässt“. Sein Credo: Besonders wichtig sind Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung und eine optimale Kooperation zwischen Gastroenterologen, Allgemeinmedizinern und Selbsthilfegruppen.“
Weitere Infos: http://www.ced-trotzdem-ich.at http://www.ced-kompass.at http://www.darmplus.at
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