Im Zuge der Ausgrabungen am Domplatz wurden bei über 4.000 Individuen anthropologische Analysen durchgeführt. Diese Untersuchungen brachten herausragende Erkenntnisse für die Medizin. Überdies wurden an zwölf weiteren Stellen im Stadtgebiet archäologische Untersuchungen organisiert.
Ein Investitionsvolumen von fast zwei Milliarden Euro sorgt dafür, dass in St. Pölten an allen Ecken und Enden gebaut wird. Bei vielen Bauvorhaben im Gemeindegebiet stehen archäologische Funde an der Tagesordnung, da die Menschen seit ihrer Sesshaftwerdung vor mehr als 7.000 Jahren im Traisental ideale Lebensbedingungen vorfanden.
Ein zentrales Projekt der Stadtentwicklung ist die Neugestaltung des Domplatzes und die Erneuerung der Einbauten. Das Bundesdenkmalamt hat bereits zu Beginn der Planungsarbeiten verfügt, dass die Mauerreste im Bodengrund nicht entfernt werden dürfen. Die archäologische Erforschung des Untergrundes war damit zwingend erforderlich, um eine tragfähige Schicht für die neue Oberflächengestaltung des Domplatzes herstellen zu können.
Somit ist der St. Pöltner Domplatz mit einer Fläche von 5.700 Quadratmeter seit 2010 eines der größten innerstädtischen Grabungsprojekte Österreichs. Angesicht dieser enormen Herausforderung hat sich die Stadt dazu entschlossen, mit Dr. Ronald Risy einen eigenen Stadtarchäologen zu beschäftigen.
„In Summe kommt der Stadt ein eigener Archäologe billiger als die Beauftragung einer Grabungsfirma und wir sparen viel Zeit. Zudem können wir auch private Bauherren besser unterstützen und effizienter beraten. Jährlich werden zusätzlich zum Domplatz mehr als zehn weitere archäologische Maßnahmen in St. Pölten betreut“, erläutert Bürgermeister Mag. Matthias Stadler. „Bereits jetzt wurden – begünstigt durch die guten Wetterbedingungen – die Arbeiten im südlichen Bereich des Domplatzes fortgesetzt, um einen raschen Erfolg zu ermöglichen“, verrät Stadler.
In den ersten drei Jahren der Ausgrabungen am Domplatz in wurden bereits bei etwas über 4.000 Individuen anthropologische Analysen durchgeführt. Von all diesen St. PöltnerInnen aus dem Mittelalter konnten biologische Gewebeproben asserviert werden und stehen nun in einer Biodatenbank zur weiteren Forschung zur Verfügung.
Auf diese Weise gelingt es, auch nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten den Gesundheitszustand oder Arbeitsbedingungen der St. Pöltner Bevölkerungen zu rekonstruieren und Rückschlüsse auf die damaligen Lebensumstände und Lebensweisen zu ziehen, aber auch bei einzelnen Individuen deren persönliches Schicksal nachvollziehbar zu machen.
In St. Pölten lebte man schon früher gesünder
Die Untersuchungen leisten einen eminenten Beitrag zur Rekonstruktion der historischen Entwicklung der Bevölkerung St. Pöltens, stellt doch der ehemalige Stadtfriedhof in seiner Belegung ein tausendjähriges Kontinuum in Form von menschlichen Überresten aus der Zeit vor der Industrialisierung und der Entwicklung der modernen Medizin dar.
Eine Vielzahl von pathologischen bzw. traumatischen Veränderungen an den ausgegrabenen Skeletten konnte bereits identifiziert werden. Generell kann aber die Belastung der St. Pöltner mit Krankheiten, die sich auch am Knochen manifestieren, mit rund 11 % im Vergleich zu anderen mittelalterlichen Gemeinschaften (~ 15 %) als geringer bezeichnet werden. Das liegt höchstwahrscheinlich an der guten Versorgungslage mit ausgewogenen Lebensmitteln aus der Region.
Auch mit interpersonellen Konflikten dürfte der eine oder andere Bewohner von St. Pölten Erfahrungen gemacht haben. Neben einer Vielzahl von typischen Knochenbrüchen belegen dies verheilte, aber auch tödliche, durch Gewalt verursachte Schädeltraumata.
Die Krankengeschichten der Menschen im Siedlungsraum St. Pölten werden zum Teil im Rahmen von Diplomarbeiten der Studenten der Medizinischen Universität Wien aufgearbeitet. Diese Arbeiten liefern erstaunliche Befunde, so konnten etwa Fälle von Brustkrebs und Prostatakrebs, vermeintlich moderne Krankheiten, auch für das Mittelalter in St. Pölten nachgewiesen werden.
Domplatz-Funde helfen bei aktueller Aufklärung von Verbrechen
„Gegenwärtig dienen die anthropologischen Erkenntnisse als Unterstützung für die Entwicklung von Methoden für die moderne forensische Anthropologie und als wertvolles Anschauungsmaterial für die moderne Orthopädie, Knochenpathologie und Zahnmedizin. Die Ergebnisse tragen zur Aufklärung der Entwicklungsgeschichte von Krankheiten und dadurch zu einem besseren Verständnis der Krankheiten generell bei“, weiß etwa der zuständige Anthropologe von der medizinischen Universität Wien, Dr. Fabian Kanz.
Dies kann in weiterer Folge zu neuen Forschungsansätzen in der Medizin führen. Großer Nutzen ergibt sich durch die Entwicklung von neuen Methoden zur Aufklärung von Verbrechen, wie z.B. die Bestimmung des postmortalen Intervalls (Leichenliegezeit) und der Händigkeit, die Rekonstruktion der Körperhöhe sowie metrische regionale Referenzwerte für die Geschlechtsbestimmung – alles Parameter welche zur Identifikation eines unbekannten Toten führen können.
Letztlich erschließt sich durch die Untersuchungen der volkswirtschaftliche Nutzen von Behandlungserfolgen der modernen Medizin, etwa der Kindersterblichkeit sowie der Maßnahmen zur Erhöhung der Zahngesundheit in der Bevölkerung.
Gebewebedatenbank als Standortvorteil für die Zukunft
Durch die vielfältigen Erkenntnisse der Untersuchungen, unterstützten diese die biomedizinische Forschung der Zukunft dank der Möglichkeit zur Etablierung einer umfangreichen Gewebedatenbank. „Die neuesten Entwicklungen der Forschung, vor allem im Bereich der DNA-Analyse und der Analyse von stabilen Isotopen sowie der Proteomics, erlauben es in zunehmendem Maße die sogenannten Bioarchive in den menschlichen Überresten zu verwerten. Im Lichte der rasanten Entwicklung der medizinischen Diagnose- bzw. Behandlungsmöglichkeiten wird in Zukunft der Zugriff auf umfangreiche biologische Gewebedatenbanken von essentieller Bedeutung sein“, erklärt der Anthropologe Kanz. Zukünftig können die St. Pöltner Bürger daher, durch die vorgelegte, weltweit wahrscheinlich umfangreichste regionale Hartgewebesammlung, als unmittelbare biologische Nachfahren profitieren.
Zusammenfassung der archäologischen Erkenntnisse am Domplatz
Mit der diesjährigen Grabungsfläche wurden die archäologischen Untersuchungen im Nordteil des Platzes im Wesentlichen abgeschlossen, ausgenommen der Nordwestecke im Bereich des Kebap-Standes. Bereits begonnen wurde mit einer weiteren Grabungsfläche in Absprache mit den Besitzern vor dem ehemaligen Palais Wellenstein, um deren Baufortgang nicht zu behindern.
Bis Ende September wurden mehr als 750 Tonnen Erdmaterial händisch bewegt, dabei kamen an die 20.000 Einzelfunde zum Vorschein, die 90 Bananenkartons füllen, darunter 364 Münzen und mehr als 1000 sonstige Kleinfunde. Erneut konnten wichtige Erkenntnisse zur Stadtgeschichte von Aelium Cetium und des mittelalterlichen St. Pölten gewonnen werden, die weit über die Grenzen der Stadt hinaus von Bedeutung sind und die im Folgenden kurz zusammengefasst werden:
1. Weitere Detailergebnisse zum Bebauungsplan der römischen Stadt im 2./3. Jhd. n.Chr.: Der große, in den letzten Jahren mehrfach angeschnittene Gebäudekomplex, bestehend aus Sockelmauern und Fachwerkbau, wird im Süden von einer Portikus (überdachter Säulengang) begleitet. Südlich anschließend wurde auch der hier verlaufende innerstädtische Straßenzug festgestellt. Weiters bestätigt werden konnte die Zerstörung dieses Gebäudes durch einen Brand und eine periphere Nachnutzung, teilweise ohne Berücksichtigung der Vorgängermauern.
2. Entdeckung eines spätrömischen Verwaltungspalastes: Nachdem bereits im Vorjahr ein Badegebäude des 4. Jahrhunderts n. Chr. mit einem im ganzen römischen Reich singulären Grundriss entdeckt und freigelegt wurde, hat sich nun im Herbst die Vermutung, dass es sich dabei um ein Privatbad eines Verwaltungspalastes handeln könnte, vollauf bestätigt. Es wurde im Südwesten der heurigen Grabungsfläche ein großer Saal mit apsidalem Abschluss angeschnitten. „Solche Säle mit Apsis dienten der Repräsentation und gehörten zum Standardrepertoire spätantiker Großvillen, von Statthalterpalästen oder Kaiserresidenzen. Diese Entdeckung zeigt, dass Aelium Cetium in der Spätantike eine viel höhere Bedeutung zukommt, als bisher von der Forschung allgemein vermutet wurde“, erklärt Stadtarchäologe Dr. Ronald Risy.
In den Mauern des spätantiken Palastes sind zahlreiche Spolien aus Marmor verbaut, die von ehemaligen Grabbauten aus dem 2. und 3. Jahrhundert stammen. Darunter befinden sich verschiedene Architekturteile und auch ein Statuenfragment. Die Verwendung älterer Bauglieder ist ein für die Spätantike typisches Phänomen. Der Repräsentationssaal wurde in einer zweiten Bauphase nochmals vergrößert, die Apsis besaß nun einen Durchmesser von 7 Meter, der Saal eine Breite von 12 Meter. In dieser Bauphase wurde auch das singulär stehende Badegebäude über eine Mauer mit dem Verwaltungstrakt verbunden.
3. Grabraub und Kirche: Unter den bisher heuer freigelegten mehr als 1.000 Bestattungen sind zahlreiche, die der im Vorjahr festgestellten Kirche aus dem 9. Jahrhundert (eine der derzeit ältesten bekannten Kirchen Niederösterreichs) zuzuordnen sind und bis auf eine beigabenlos waren. Spuren deuten aber auf eine Beraubung mancher Gräber hin. Einige dieser Gräber lassen eindeutig den Schluss zu, dass die römischen Mauern bei deren Anlage noch sichtbar gestanden sind. Über den Winter werden noch einige Daten erhoben, um einen Datierungsansatz für einige dieser Bestattungen zu erhalten, möglicherweise steckt hier noch weiteres Potenzial für Überraschungen. Ebenso konnten ergänzende Informationen zu Grundriss und Aufbau der romanischen und gotischen Pfarrkirche verzeichnet werden.
Was geschah sonst noch?
Neben der Großgrabung am Domplatz wurden heuer bisher zwölf weitere archäologische Untersuchungen im Stadtgebiet organisiert, von denen manche noch bis ins kommende Jahr reichen. Einige erbrachten zwar kein Ergebnis, stellen aber eine wichtige Erkenntnis für zukünftige Bauvorhaben in diesen Gebieten dar. Als Beispiel sei hier das Gelände im Bereich der Werke Wörth erwähnt, wo Straßenbauarbeiten beobachtet wurden.
Die eine oder andere Künettenbeobachtung wurde ebenfalls durchgeführt. Im Bereich der Parkpromenade kamen dabei einige neuzeitliche Mauerzüge zum Vorschein, die inzwischen der Vergessenheit einheim geraten sind, aber wichtige Puzzlesteine für die Stadtentwicklung bzw. für die Veränderungen im Stadtbild darstellen.
Die archäologischen Arbeiten im Palais Wellenstein konnten bereits abgeschlossen werden. Ein weiteres Projekt betrifft eine Trockenlegungsmaßnahme im Binderhof des Diözesankomplexes, wo mittelalterliche Ofenanlagen und eine, einen römischen Wohnblock begrenzende, Mauer von Verein ASINOE(Archäologische Soziale Initiative Niederösterreichs) dokumentiert werden konnte.
Derzeit laufen parallel zum Domplatz noch zwei weitere Grabungen. Im Bereich des ehemaligen Dunantplatzes wird derzeit der noch nicht untersuchte Bereich in Verlängerung der Kremser Landstraße untersucht. Zum Vorschein kommen zahlreiche Pfostenlöcher, Gräbchen, Gruben und kleine Gräben, vergesellschaftet mit römischer Keramik, die auf eine landwirtschaftliche Nutzung bzw. einen in der Nähe befindlichen Gutshof hindeuten.
Eine weitere im Laufe befindliche Grabung, durchgeführt vom Verein ASINOE, findet seit einigen Wochen in der Schneckgasse am Gelände der Mary-Ward-Schule statt. Hier sind bisher die Fundamente eines spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Gebäudes und eines weiteren jüngeren Gebäudes, ebenso wie die hier verlaufende römische innerstädtische Straße und entsprechende Funde zum Vorschein gekommen. Zu erwarten sind hier mit Sicherheit auch römische Gebäudereste.
Quelle: Magistrat St. Pölten