Geruchstests, Biomarker, Darmbiopsien: Neue Wege in der Früherkennung von Parkinson

Kopenhagen (pts032/30.05.2016/14:00) – „Neue, neuroprotektive oder krankheitsmodifizierende Therapien gegen Parkinson werden um ein Vielfaches erfolgreicher sein können, wenn sie in einem frühen Stadium der Erkrankung ansetzen. Glücklicherweise gelingt es uns dank neuester Erkenntnisse und Methoden immer besser, die Entstehungsmechanismen dieser Erkrankung zu entschlüsseln und Menschen mit potenziellem Parkinsonrisiko frühzeitig zu identifizieren“, sagte Prof. Dr. Günther Deuschl (Kiel, Deutschland), Präsident der European Academy of Neurology (EAN), beim 2. EAN-Kongress in Kopenhagen. Neue Erkenntnisse zu den Frühstadien der Parkinson-Erkrankung gehören zu den Schwerpunktthemen dieses medizinischen Großereignisses.

EAN-Präsident Deuschl unterstreicht die wachsende Bedeutung von Früherkennung – nicht zuletzt angesichts der demografischen Entwicklung: „Morbus Parkinson betrifft rund zwei Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren und zählt mit rund 1,2 Millionen Erkrankten europaweit zu einer der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist davon auszugehen, dass sich bis 2030 die Zahl der Betroffenen verdoppelt.“ Auch gemessen in DALYs, einer Messgröße für durch Krankheit und vorzeitigen Tod verlorene Lebensjahre, ist Parkinson ein erheblicher Faktor.

„Bereits jetzt gehen innerhalb der EU-Bevölkerung 640.000 gesund verbrachte Lebensjahre durch diese Krankheit verloren. Schon heute steht Parkinson auf Platz 5 der teuersten neurologischen Erkrankungen für die europäischen Gesundheitssysteme. Umso wichtiger ist es, innovative Wege zu entwickeln, um das Voranschreiten des Krankheitsgeschehens so gut wie möglich verhindern“, so Prof. Deuschl.

Die Pathologie, die der Parkinson-Erkrankung zugrunde liegt, beginnt lange vor der eigentlichen klinischen Diagnose. Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass eine Reihe von Symptomen zum Teil bereits viele Jahre vor der nachweisbaren Degeneration von Nervenzellen und den typischen motorischen Störungen auftreten. Dazu gehören etwa ein gestörter Geruchsinn, Verstopfung, Schwindel oder Harnentleerungsstörungen. Auch eine besondere Form von schlaf-assoziierten Störungen – die REM-Schlaf-Verhaltensstörung – zählt dazu. Bei Gesunden ist in dieser Schlafphase die Motorik gehemmt, die von dieser Störung Betroffenen leben ihr Traumgeschehen jedoch körperlich aus.

„Eine Reihe von Studien, die auf dem EAN-Kongress präsentiert werden, bestätigen die Existenz von Risikomarkern, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit der Parkinson-Erkrankung in Verbindung gebracht und allzu leicht übersehen werden“, so Prof. Deuschl. Eine in Kopenhagen präsentierte französische Studie mit rund 40 Parkinson-Patienten zeigt etwa, dass die Betroffenen eine deutlich schwächere Atemleistung aufwiesen als Gesunde. In der Frühphase der Erkrankung scheint also die Muskulatur beeinträchtigt zu sein, die am Einatmen beteiligt ist.

Eine ebenfalls auf dem Kongress vorgestellte italienische Studie untersuchte, wie es um die Riechleistung von Parkinson-Patienten in einem sehr frühen, noch unbehandelten Stadium bestellt ist und verglich diese mit dem Geruchsinn einer gesunden, gleichaltrigen Kontrollgruppe. Dass die Kontrollgruppe mehr roch, dürfte mit einer besseren kortikalen Verbindung zum Nucleus caudatus zusammenhängen, der als Teil der Basalganglien für die Kontrolle willkürlicher Bewegungen mitverantwortlich ist. Auch eine russische Studie mit 104 Patienten hat gezeigt, wie verbreitet Riechstörungen im Fall von Parkinson sind: Acht von zehn Studienteilnehmern litten unter einem teilweisen Verlust des Geruchssinns, fast jeder Fünfte war völlig geruchsblind und nur zwei Personen zeigten keine Riechstörung.

Nicht nur hinsichtlich Risikomarker gibt es neue Einsichten: Mit dem Protein alpha-Synuclein scheint inzwischen auch ein entscheidender Faktor im Krankheitsgeschehen identifiziert worden zu sein. „Die Verklumpung des Eiweiß alpha-Synuclein im Gehirn spielt eine entscheidende Rolle, und das Schädigungsmuster wird offenbar von Zelle zu Zelle weitergegeben – eine Kettenreaktion, die durch künftige Therapien gestoppt oder zumindest verzögert werden sollte“, erklärte Prof. Deuschl. Hier gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass die pathologischen Veränderungen nicht nur im Gehirn vorhanden sind, sondern auch in anderen Nervenzellen, zum Beispiel im Darm, und möglicherweise von dort in das Gehirn „wandern“.

Auch in den Nerven der Haut oder der Speicheldrüsen lassen sich die charakteristischen Protein-Schädigungen zeigen. „Auch diese neuen Einsichten eröffnen andere Ansätze für die Früherkennung und Therapie von Parkinson. So wird derzeit etwa intensiv untersucht, ob eine sichere Frühdiagnose der Erkrankung durch eine Biopsie der Nerven im Darm, den Speicheldrüsen oder der Haut möglich ist“, so Prof. Deuschl.

Einen wichtigen Fortschritt in Bezug auf die Früherkennung stellt die Definition von Diagnose-Kriterien für die prodromale Phase der Parkinson-Krankheit dar, also eine sehr frühe Phase, in der eine klassische klinische Diagnose auf Basis motorischer Symptome noch nicht möglich ist. „Die Kriterien wurden vor kurzem von der Movement Disorder Society veröffentlicht. Zum einen sollte damit die klinische Forschung standardisiert, zum anderen die Diagnostik unterstützt werden“, so Prof. Deuschl. „Da es bisher noch keine verlässlichen Tests zur Früherkennung von Parkinson gibt, mussten sich die Ärztinnen und Ärzte bisher auf ihre Erfahrung verlassen. Wir haben nun einen für die Neurologie völlig neuen Ansatz entwickelt, der klinische Untersuchungen und statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung miteinander verbinden.“

Ausgangspunkt ist die altersentsprechende Wahrscheinlichkeit des Individuums, die Erkrankung zu bekommen. Danach werden so viele diagnostische Informationen wie möglich gesammelt und ebenfalls mathematisch nach einem Wahrscheinlichkeitsquotienten bewertet. Das können Umwelt-Risiken sein wie Rauchen oder Koffeinkonsum, genetische Faktoren, die Ergebnisse von Biomarker-Tests oder prodromale Symptome wie Verstopfung oder Geruchsstörungen. So können Risikofaktoren in negativer aber auch positiver Richtung in die Bewertung eingehen. „Dieses System der Risikobewertung kann jederzeit erweitert werden, wenn neue Tests zur Früherkennung dazukommen“, so Prof. Deuschl.

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