Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 9. August 2022. Von MICHAEL SPRENGER. „Die blaue Teflonpartei“.

Innsbruck (OTS) – Skandale und Abspaltungen bestimmten die jüngere Parteigeschichte. Jetzt befindet sich die FPÖ im Sumpf parteiinterner Intrigen. Einzelne Landesorganisationen gehen auf Distanz zu Herbert Kickl. Eine Zerreißprobe. Dass die FPÖ weiterhin in Umfragen bei 20 Prozent liegt, gehört zu den Besonderheiten des Zustandes der Republik. Die Partei hat sich seit mehr als 35 Jahren, als sie von Jörg Haider von einer Kleinpartei zu einer mittelgroßen rechten Partei gemacht worden ist, eine Teflonschicht zugelegt, an der scheinbar alles abperlt. Mit dem Liberalen Forum und dem BZÖ war sie mit zwei Abspaltungen konfrontiert, zweimal scheiterte sie grandios beim Versuch, als Regierungspartei zu reüssieren, häufig waren und sind die Verstrickungen ihrer Mandatare in Korruptionsfällen, einige davon nahmen auf der Anklagebank Platz, immer wieder tauchte die Partei bewusst tief ein ins rechtsextreme Milieu, zeigte keine Berührungsängste mit Verschwörungsanhängern, kokettierte mit dem Austritt aus der EU, sucht immerzu aufs Neue die Kooperation mit autoritären Regimes – und geht bis heute mit menschenverachtenden Slogans auf Stimmenfang. Bis auf zeitlich knapp bemessenen Wählerschwund, den die Freiheitlichen immerzu wettmachen konnten, scheint die Partei ihren Platz in der Parteienlandschaft abgesichert zu haben. Jetzt befindet sich die Partei um Herbert Kickl erneut in Turbulenzen, und es sind innerparteiliche, die die FPÖ neuerlich vor eine Zerreißprobe stellen. Zudem hat dieser Fall eine mehr als tragische Note. Wir wissen nicht, was letzten Endes der oder die Auslöser waren, die zum Suizidversuch von Hans-Jörg Jenewein geführt haben. Zurückhaltung ist jedenfalls angebracht. Spekulationen sind unangemessen. Ein Selbstmordversuch ist immer ein Akt der Verzweiflung. Also ist Jenewein zu wünschen, dass er – mit professioneller Hilfe – aus seinem dunklen Tal herausfindet. In einem dunklen Tal befindet sich zudem die FPÖ. Dieses gilt, ausgeleuchtet zu werden. Dabei geht es um Machtkämpfe, um Intrigen, um anonyme Anzeigen. Und natürlich geht es auch um die Zukunft von Kickl, dessen enger Vertrauter Jenewein war. In der Vorwoche musste Jenewein auf Geheiß der Parteiführung die FPÖ verlassen. Zugleich gehen immer mehr Landesorganisationen auf Distanz zu Kickl, wollen mit seinem Stil nichts mehr gemein haben. Wie schwer die Partei mit den jüngsten Vorwürfen und Verdächtigungen zu kämpfen hat, ist an der kurzfristigen Absage der Presse­konferenz von Walter Rosenkranz abzulesen. Er wollte gestern seinen freiheitlichen „Weg zur Bundespräsidentschaft“ skizzieren. Der Termin soll heute stattfinden. Rosenkranz und mit ihm die Tiroler FPÖ werden bald erkennen, ob die freiheitliche Teflonschicht nunmehr beschädigt worden ist.

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